​01.03.2025

100 Jahre Lächeln: Wie Havas und Seven.One mit Künstlicher Intelligenz eine Zeitreise ermöglichen

von Eyes & Ears of Europe

Der neue Lacalut-Spot, der in Zusammenarbeit mit Seven.One Media, Seven.One AdFactory, Havas Media und Havas Play entstanden ist, setzt auf eine völlig neue Herangehensweise: Der gesamte Spot besteht aus KI-generierten Inhalten. Anstelle realer Schauspieler kommen ausschließlich generierte Charaktere zum Einsatz, die die Markengeschichte repräsentieren. Diese Verbindung von Traditionsmarke und moderner Technologie begeistert nicht nur die Kreativbranche, sondern regt auch zum Nachdenken darüber an, wie die Zukunft der Werbung mit Künstlicher Intelligenz aussehen könnte. Im Interview mit Heiko Brantsch (Senior Art Director Video, Seven.One AdFactory GmbH) werfen wir einen Blick auf den kreativen Prozess und die Learnings aus der Arbeit mit KI.

Luise Flügge (Redaktion Eyes & Ears of Europe): Was war die Grundidee hinter dem Lacalut-KI-Spot? Wie kam es zur Entscheidung, KI statt realer Menschen einzusetzen?

Heiko Brantsch: Seven.One Media hat in einem Workshop ihre KI-Aktivitäten vorgestellt und gezeigt, wie Künstliche Intelligenz die Werbewirtschaft bereichern kann. Ein Beispiel dafür ist unser Konzept „KI-Wissen to go“. Die Agentur Havas wandte sich also gezielt wegen unserer KI-Expertise an uns.

Lacalut wollte zum 100-jährigen Jubiläum etwas Neues wagen. Deshalb haben wir uns für eine TV-Kampagne entschieden, die die neuen Möglichkeiten der KI voll ausschöpft. Dabei stand schnell fest, dass jedes Jahrzehnt einzeln mit nostalgischem Wiedererkennungswert repräsentiert werden sollte. Diese Kampagnenidee wäre mit klassischen Produktionsmethoden extrem aufwendig gewesen: Ein Casting von vierzehn Hauptdarstellern plus Komparsen, elf Locations, mehrere Drehtage, dutzende Oldtimer, historische Kostüme und Requisiten sowie die Sperrung ganzer Straßenzüge. Bei einer realen Produktion hätte man aus pragmatischen Gründen Abstriche gemacht, um die Drehbedingungen zu erleichtern. Mit KI konnten wir die Idee jedoch genau nach unseren Vorstellungen umsetzen. LF: Welche Technologien und Tools kamen bei der Entwicklung des Spots zum Einsatz? Gab es besondere technische Herausforderungen?

HB: Das Herzstück des Spots war die Kreation der Menschen und Umgebungen mit Text-zu-Bild KI. Diese liefert inzwischen sehr hochwertige Ergebnisse. Trotzdem habe ich mit „Inpainting“ Feinschliff vorgenommen, um kleine KI-Bildfehler zu retuschieren und zusätzliche Details präzise zu platzieren.

Nachdem alle Szenen als Standbilder fertiggestellt und vom Kunden abgenommen waren, verwandelte ich sie mittels Image-to-Video KI in Bewegtbild. Hier liegen die größten technischen Herausforderungen: komplexe Handbewegungen, Details im Hintergrund wie kleine Gesichter, konsistente Gesichtszüge aus verschiedenen Kameraperspektiven – all das funktioniert derzeit noch schlecht und erfordert viel Geduld. Der schwierigste Shot war der Skatepark. Realistisch bewegende Skater:innen im Hintergrund darzustellen, war ein Härtetest für die KI. Die Technologie ist noch nicht so weit, wie viele denken. Es braucht Erfahrung und viele Tests, um wirklich realistische Videos zu erzeugen.

Zu guter Letzt habe ich Musik-KI passende nostalgische Musik komponieren lassen: Eine Mischung aus Grammophon-Sound, Jazz und Swing. Als virtuellen Voice-Over-Sprecher habe ich einen sympathischen älteren Herren ausgewählt. Beides funktioniert inzwischen sehr intuitiv und war der unkomplizierteste Teil der Produktion. Zwar benötigt die KI-Stimme mehrere Anläufe, bis das Ergebnis natürlich klingt und genauso betont wird, wie gewünscht, aber dieser Schritt wäre mit menschlichen Sprecher:innen ähnlich verlaufen. Der Vorteil der KI liegt in der sofortigen Verfügbarkeit und maximalen Flexibilität, wenn sich das Wording später ändert.

LF: Was waren die größten kreativen Herausforderungen bei der Umsetzung des Projekts, und wie habt ihr diese gemeistert?

HB: Ich habe jede Szene mit viel Liebe zum Detail gestaltet, um realistische und lebendige Ergebnisse zu erzielen. Die KI versteht inzwischen lange, komplexe Prompts und bietet dadurch kreative Gestaltungsmöglichkeiten. Um die gut zu nutzen und spezifische detaillierte Prompts formulieren zu können, sind aber auch Recherchen nötig. Im Fall des Lacalut-Spots habe ich zum Beispiel zu Frisuren, Outfits und Umgebungsdetails recherchiert, um der KI gezielte Prompts zu geben, die jedes Jahrzehnt bestmöglich widerspiegeln. Ein einfacher Prompt wie „eine Frau im Jahr 1925 lächelt in die Kamera“, überlässt zu vieles dem Zufall und hätte unseren ästhetischen Ansprüchen auf keinen Fall genügt. Das zeigt: Kreativität ist auch bei KI-Produktionen nicht vollautomatisch – der Spot enthält viel menschliche Kreativität und Liebe zum Detail.

LF: Welche Reaktionen habt ihr bisher auf den Spot erhalten, sowohl intern als auch aus der Zielgruppe?

HB: Die Reaktionen waren ganz überwiegend positiv. Die nostalgische Stimmung im Spot gefällt den Zuschauer:innen, und der innovative technologische Ansatz weckt Neugier und Aufmerksamkeit. Wir sind in zahlreichen Gesprächen mit weiteren Kunden zu ähnlichen Umsetzungen und haben auch über den klassischen TV-Spot hinaus viele weitere Ideen!

Einzelne kritische Stimmen gibt es aber natürlich auch – das Thema KI polarisiert, nicht zuletzt in der Kreativszene. Ich appelliere vor allem an Kreative  aus der Branche, den neuen Möglichkeiten offen gegenüberzustehen. Gerade jetzt, da die Technologie noch jung ist, haben wir die Chance, Expert:innen im Umgang damit zu werden. KI-Content muss nicht generisch aussehen. In den Händen von erfahrenen Kreativen kann und wird KI ein sehr nützliches Werkzeug sein.

LF: Welche Rolle siehst du für KI in der Zukunft der Werbung? Glaubst du, dass diese Art von Technologie in der Branche noch stärker zum Einsatz kommen wird?

HB: Diese Technologie ist definitiv gekommen, um zu bleiben. Schon vor unserer Kampagne haben KI-Werkzeuge wie Inpainting und Outpainting mit Firefly unseren Arbeitsalltag bereichert und sind längst ein fester Bestandteil unserer Workflows für konventionell gedrehte und grafisch animierte Spotproduktionen.

Manche Spotkonzepte und Ideen eignen sich besonders für den Einsatz von KI in der Produktion, da ein echter Dreh zu aufwendig oder schlicht unmöglich wäre. KI wird die klassischen Produktionswekzeuge ergänzen und uns neue Spielräume eröffnen.

Wir wollen Vorhandenes nicht mit KI ersetzen, sondern KI nutzen, um neue Ideen zu verwirklichen, die früher vielleicht in der Schublade geblieben wären.

LF: Gab es während des Projekts etwas, das euch überrascht hat oder etwas Neues, das ihr durch den Einsatz von KI gelernt habt? 

HB: Ich bin immer wieder aufs Neue überrascht vom sprunghaften technologischen Fortschritt. Dinge, die vor einigen Monaten nahezu unmöglich mit KI umsetzbar waren, sind plötzlich machbar. Der Prozess erfordert viel Trial-and-Error – man muss am Ball bleiben. Neue KI-Tools kommen nahezu wöchentlich auf den Markt und einige halten nicht, was sie versprechen, andere begeistern durch überraschende Fähigkeiten. Es bleibt spannend, was die Zukunft bringt. Meine Kolleg:innen und ich bleiben dran!

LF: Danke für diese Einblicke in Deine Arbeit. Wir von Eyes & Ears of Europe sind gespannt darauf, was von Dir und der SevenOne AdFactory auf den Lacalut-Spot folgen wird! 

Heiko Brantsch ist Art Director in der Seven.One AdFactory, einer internen Kreativagentur des ProSiebenSat.1-Medienkonzerns, die eng mit den Sales-Kollegen der Seven.One Media zusammenarbeitet. Seit vielen Jahren produziert er TV-Spots für Kunden aus unterschiedlichsten Branchen und ist dabei insbesondere für die Postproduktion verantwortlich. Darüber hinaus arbeitet er häufig als Editor und Motion Designer direkt an den Werbespots.

Vor seiner Tätigkeit bei Seven.One AdFactory war Heiko Brantsch viele Jahre als Videograf tätig und produzierte Marketingvideos, wodurch er umfangreiche Erfahrung mit Kameraarbeit und Lichtgestaltung sammelte.

Seit etwa einem Jahr beschäftigt er sich intensiv mit den Möglichkeiten der generativen KI – zunächst aus persönlichem Interesse, später mit wachsender Unterstützung seiner Kollegen und Vorgesetzten. Durch zahlreiche experimentelle Tests gewann er tiefere Einblicke in das Potenzial dieser Technologie, was letztlich zur Anfrage von Havas und der Umsetzung des Lacalut-KI-Spots führte.