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02.10.2025
Buch Tipp: Sisyphos im Maschinenraum
von Eyes & Ears of Europe
Technik begleitet uns Menschen seit der industriellen Revolution – und doch bleibt unser Verhältnis zu ihr ambivalent. Wir setzen Maschinen ein, weil sie schneller, präziser und scheinbar fehlerfrei funktionieren. Gleichzeitig sind wir es, die ihre Grenzen erfahren, ihre Defekte beheben und mit ihren Nebenwirkungen leben müssen.
Genau diesen Widerspruch stellt Martina Heßler in „Sisyphos im Maschinenraum“ ins Zentrum. Sie zeigt, wie sich seit dem 19. Jahrhundert die Vorstellung etabliert hat, dass der Mensch ein „Mängelwesen“ sei, während Technik als Heilmittel und Überwinderin seiner Schwächen gilt. Doch Fortschritt, so macht Heßler deutlich, ist keineswegs eine lineare Befreiung von Fehlern. Im Gegenteil: Jede technische Lösung bringt neue, oft komplexere Probleme hervor – ein Kreislauf, der uns immer tiefer in den Maschinenraum führt, den sie als Metapher für unsere technisierte Welt verwendet.
Besonders eindrücklich wird dieser Gedanke durch konkrete Beispiele. Der Lügendetektor etwa, als Wahrheitsmaschine gedacht, erzeugte vor allem neue Irrtümer. Das autonome Fahren wird regelmäßig als Durchbruch gefeiert, doch die Wirklichkeit erweist sich immer wieder als komplexer. Und die Künstliche Intelligenz schließlich, die verspricht, menschliche Schwächen zu überwinden, reproduziert am Ende die Fehler, die in ihre Datengrundlagen eingeschrieben sind. Gerade an Chatbots zeigt sich: Fehlbarkeit ist längst nicht mehr nur menschlich – sie ist auch maschinell geworden.
Das Leitmotiv des Buches ist die Figur des Sisyphos. Wie der mythische Protagonist, der unermüdlich seinen Stein den Berg hinaufwälzt, scheinen auch wir Menschen zu einem endlosen Kreislauf der Fehlerbehebung verdammt. Technik erscheint darin nicht als Erlöserin, sondern als Verstärkerin des Dilemmas: Mit jedem Fortschritt wächst der Stein, den wir bewegen müssen.
Heßler überzeugt dabei mit einem nüchternen, zugleich klaren Stil. Sie verfällt weder in Technikfeindlichkeit noch in Alarmismus, sondern entlarvt den „Technikchauvinismus“ – die Überhöhung der Maschine über den Menschen – als eine kulturelle Illusion, die uns bis heute prägt. Gerade in einer Zeit, in der KI-Systeme als Heilsversprechen gehandelt werden und zugleich die Angst wächst, dass sie Arbeitskräfte ersetzen könnten, ist ihr Buch hochaktuell. Es lädt dazu ein, den Mythos der perfekten Maschine kritisch zu hinterfragen.
„Sisyphos im Maschinenraum“ ist damit mehr als eine historische Technikgeschichte. Es ist eine kluge, anregende Lektüre für alle, die verstehen wollen, warum wir unsere eigenen Fehler so hart bewerten und Maschinen zum Maßstab erheben. Und es ist eine Einladung, unser Selbstbild im Zeitalter der KI neu zu justieren.
Zum Buch: https://www.chbeck.de/hessler-sisyphos-maschinenraum/product/37004675